Interview mit Günes Seyfarth

Veröffentlicht am: Dec 19, 2023
Interview mit Günes Seyfarth

Günes Seyfarth, Gründerin und Geschäftsführung der Community Kitchen): 8 Jahren Lebensmittelretter-Erfahrung, Speakerin, Bildungsgestalterin in vielen Projekten, u.a. Vorstand bei Eine Schule Für Alle e.V., Gründerin von Next-Entrepreneurs (jetzt NEO Academy) und Mama von 3 Kindern (9,11,13 Jahre) sowie Gründerin der Kitas Karl & Liesl (Krippe, Kindergarten und Hort mit 108 betreuten Kindern regulär) sowie der Tauschplattform für Baby- und Kindersachen Mamikreisel.de (später Vinted). Zudem ist sie Preisträgerin der Goldenen Bild der Frau 2022 und La Monachia 2023. 

Günes, du bist Serial Entrepreneurin, hast bereits eine Kita gegründet und Mami Kreisel (heute Vinted) ins Leben gerufen. Warum dreht sich jetzt alles in Deinem Leben um Lebensmittelverschwendung?

Wie alle UnternehmerInnen habe ich Probleme gesehen und wollte dafür funktionierende Lösungen entwickeln. Es war unwichtig, dass ich nicht vom Fach war. Ich habe mir alles angelernt. Als ich unseren ersten Sohn bekam, erkannte ich, dass Kitaplätze fehlten, dann sah ich, dass Kinder schnell wachsen und vor Allem rauswachsen. Durch Freunde wurde ich auf das Thema der Lebensmittelverschwendung aufmerksam. Im Gegensatz zu den anderen Themen steht die wirkungsvolle Lösung noch nicht. Das Problem ist immens groß. Deswegen bin ich weiter dran.

Wie groß ist das Problem „Lebensmittelverschwendung“ eigentlich?

Ein Drittel der Nahrungsmittel in Deutschland werden nicht verzehrt, sondern weggeworfen.

Damit gehen auch alle hineingeflossenen Ressourcen verloren. Mit jedem weggeworfenen Lebensmittel ist ein hoher Verbrauch an Energie, Wasser und anderen Rohstoffen in der Kette vom Anbau bis zum Handel verbunden. Beispielsweise werden für die Menge der weggeworfenen Lebensmittel knapp 30 Prozent der weltweit verfügbaren Anbauflächen unnötig genutzt.

Lebensmittelverluste wirken sich auch negativ auf das Klima aus. Der vermeidbare Lebensmittelmüll der EU verursacht im Jahr die gleiche Menge klimaschädlicher Gase wie die gesamte Niederlande pro Jahr freisetzt. Wertvoller Ackerboden, Wasser und Dünger, Energie für Ernte, Verarbeitung, Transport und Entsorgung - jedes Lebensmittel verbraucht kostbare Ressourcen.

Eine Studie im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) ergab, dass 70 Kilogramm pro Person pro Jahr  an Lebensmittel wegwirft, jedoch wären 31 Kilogramm vermeidbar gewesen Quelle: https://www.kern.bayern.de/wissenschaft/081984/index.php, April 2023). Das sind auf die Einwohnerzahl Münchens von 1.563.723 gerechnet 132.809 Kilogramm. Das bedeutet pro Kopf 85 Gramm vermeidbare Lebensmittel pro Tag.

Die bestehende und weiter zunehmende Verschwendung verzehrfähiger Lebensmittel ist ein fundamentales Problem unserer Gesellschaft mit tiefgreifenden ökonomischen (400 Milliarden USD vom Anbau zum Handel laut FAO der UN), vor allem aber ökologischen (Verminderung Biodiversität durch Monokulturen, Raubbau und Ausnutzung des Bodens, Verschmutzung des Grundwassers durch Pestizide und antibiotikaresistente Keime aus der Tierzucht) und sozialen (Ausbeute  von Menschen, Kinderarbeit v.a. in Landwirtschaft, Produktion) Auswirkungen. Ihre Vermeidung - Lebensmittelverschwendung zu reduzieren - dagegen stellt das wirksamste Mittel im Kampf gegen den Klimawandel dar, welche die Studien laut www.drawdown.org bei einer angenommenen Erhitzung von 2°C belegen.

Das Community Kitchen München rettet täglich Lebensmittel, die ansonsten im Müll gelandet wären, verarbeitet sie zu frischen Mahlzeiten für das eigene Lokal und aktiviert Menschen aus München und Umgebung, selbst und als Gemeinschaft wirksamen Klimaschutz zu betreiben. 


Was genau wollt ihr mit Community Kitchen bewirken und was hat sich seit der Gründung getan?

Unser Team der Community Kitchen verfolgt die Mission, die Zahl der Lebensmittelvernichtung signifikant zu reduzieren und im besten Falle sogar soweit, dass Initiativen wie das Community Kitchen obsolet werden. 

Unser Lösungsansatz beginnt mit der Rettung von verzehrfähigen Lebensmitteln entlang der Wertschöpfungskette. Lebensmittel, die ansonsten aufgrund von Schönheitsfehlern und kleinen Macken, Über- und Fehlproduktion sowie Logistikineffizienzen in der Tonne landen würden. Wir retten wöchentlich zwischen 7 und 15 Tonnen Lebensmittel, die anschließend in unserer  Großküche zu leckerem Essen verarbeitet werden. Zudem begeistern wir in unterschiedlichen Umweltbildungsformaten Schulklassen für das Thema Lebensmittelwertschätzung und erreichen durchschnittlich pro Woche 200 Schüler:innen. Wir halten Vorträge auf Nachhaltigkeitsveranstaltungen als auch in Unternehmen. Wir bringen das Thema in die Presse (BR, ZDF, 3Sat, SZ, Merkur, Münchner TV) (4,3 Mio. Presseäquivalenzwert in 2022).

Es arbeiten 35 Hauptamtliche und mehr als 100 Ehrenamtliche in der Community Kitchen München.


Erzähl mir mehr zum Hintergrund. Wie sieht Euer Geschäftsmodell aus und wie könnt ihr eure Arbeit finanzieren?  

 Durch meine jahrelange unternehmerische Erfahrung hab ich überlegt, wie wir das Wirtschaftliche mit dem Wirkungsvollen zusammenbringen können. So haben wir 2 Firmen, die in ihren Handlungsfeldern unterschiedlich sind. 

Die GmbH rettet, verarbeitet Lebensmittel und verkauft Mahlzeiten und Produkte, bietet Caterings aus geretteten Lebensmitteln an und richtet Events aus.

Die gGmbH entwickelt und setzt die Bildungsprogramme um, ermöglicht Partizipation in allen Schritten und klärt Verbraucher über die Ressourcenverschwendung auf. So können wir beides verbinden und finanzieren.

 

Was erhoffst Du Dir in der Zukunft für die Community Kitchen?

Es ist schön, wenn wir München in punkto Lebensmittelverschwendung grün machen. Doch wir wollen ein Franchise daraus entwickeln und es weltweit wirken lassen. Außerdem wollen wir aus der Nachhaltigkeitsbubble raus und machen multiprofessionelle Projekte, wie z.B. unsere Tetra-pACT-on-foodwaste-Kampagne die derzeit beginnt. Dort sammeln wir 132.809 Tetrapaks in München, die von Kunstschaffenden zu Dimensionen von Foodwaste und -rescue künstlerisch verarbeitet werden und 2024 in München ausgestellt werden sollen. So wollen wir mehr Menschen erreichen und für das Thema der Lebensmittelverschwendung sensibilisieren. Von all dem gerne mehr, damit wir unser Ziel erreichen, Lebensmittelverschwendung signifikant zu reduzieren.

 

Welche Tipps hast Du an unsere Community? Wie können wir selbst ein Teil der Bewegung werden um die Lebensmittelverschwendung zu minimieren?

  • Geh nur satt einkaufen. Erlange die Kontrolle über deinen Einkauf wieder zurück.
  • Informiere dich, wie du Lebensmittel haltbar machen kannst. Weck ein oder frier ein, was über ist.Bilde dich weiter bezüglich Lebensmittel, ihrer Entstehung und Verarbeitung. Es gibt sicherlich tolle Fermentationswokshops in deiner Nähe oder schau im Internet und lass dich begeistern, was möglich ist!
  • Lager richtig, so dass dir deine Lebensmittel länger halten. Was das jeweils heißt kannst du super leicht selbst herausfinden in dem du dich fragst: Eine einfache Regel ist: Wie ist das Lebensmittel gewachsen? Dann lagere es genau so: Bananen bleiben am Tageslicht, Kartoffeln kühl und dunkel.
  • Schau, rieche, schmecke und bilde dir deine eigene Meinung. Du hast alles eingebaut. Also nutze es auch, wenn es darum geht, herauszufinden, ob das Lebensmittel noch verzehrfähig ist. Nur durch Training wirst du hier sicherer. Probiere es aus und erlange mehr Selbstvertrauen. Du schafft das!
  • Sei mutig und probiere aus, wie gut es schmeckt, wenn du in die Pfanne oder Ofen tust, was du im Kühlschrank hast. Überrasch dich selbst!

 

Weiterführende Links…

https://community-kitchen.com/ und https://community-kitchen-muc.org/

Film Foodrescue https://www.hidden-movers.de/hidden-movers/aktuelle-gewinnerprojekte

 

 

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